Weihnachtsgedichte: Weihnachtsgesang aus “Poggfred”, Detlev von Liliencron

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Weihnachtsgesang aus “Poggfred”

In Poggfred bin ich, Schnee liegt rings umher,
der Weihnachtsabend ist herangekommen,
ein voller Wagen hält geschenkeschwer,
für viele Kinder ist er angekommen.
Zu unsrer Freude und des Christkinds Ehr’
ist über Bethlehem der Stern entglommen.
Fern aus den Wäldern klingt ein leiser Sang,
der klingt so sanft, der klingt so liebebang:
“Es ist ein Reis entsprungen
aus einer Wurzel zart;
wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art.
Und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter
wohl zu der halben Nacht.”

Aus meinen Forsten einen Tannenbaum
so mächtig groß wie möglich ließ ich bringen,
dann schufen Bertouch, ich, den Wintertraum
und ließen alles prächtig wohlgelingen;
ein Honigkuchenruch durchzieht den Raum,
die Tische sind bedeckt mit bunten Dingen,
die Kerzen leuchten und die Glocke tönt,
Herein, Herein! Hier ist die Welt versöhnt.

Ich hatte weit das Völkchen holen lassen,
aus Tagelöhnerkaten, Heidehütten,
die scheuen Kleinen aus den dürftigen Klassen,
der Waschfrau kränklich Kind von dunstigen Bütten:
sie alle soll die Liebe heut umfassen,
sie alle soll die Fülle heut umschütten.
Ich selber nahm aus dem befang’nen Schwarm
ein lütt Zigeunermädel auf den Arm.

Halbjährig ist das Wurm, sie trappelt, trampelt,
die braunen Händchen zittern, langen, greifen.
Sie macht ein Karpfenmäulchen, strappelt, strampelt,
und wie erstaunt die schwarzen Augen schweifen,
heb ich sie lichterhoch! Und wie sie ampelt!
Ho, jemine, kann schon ihr Finger kneifen!
Sie kreischt vor Luft, das war ihr erstes Juchzen,
du, Dirnlein, käm die später nie das Schluchzen.

Ach, schenken, schenken, könnt ich immer schenken.
Und lindern, wo die Not, die Armut haust.
Und braucht ich nie mein Geld erst zu bedenken,
wo ein Verzweifelter den Bart sich zaust.
Unf könnt ich alle Krämerhälse henken:
Pfeffer in euern Schlund! Und meine Faust!
Könnt allen ich ein Tannenreis entzünden:
seid froh, vergeßt für immer eure Sünden.

Ist das ein Durcheinander: wie sie spielen
und schleppen, ziehn, trompeten, trommeln, geigen.
Beschwert sind Stühle, Sofa, Teppich, Dielen
ein jedes schirmt und schützt für sich sein Eigen;
Mariechen, oh, seh ich nach Ännchen schielen,
ei, ei! Doch wer kommt da? Und tiefes Schweigen:
ein Engel mit gesenkten weißen Flügeln,
der flog wohl eben her von Gottes Hügeln.

Seht! Der jetzt hier vor euch steht,
ist ein Engel aus dem Himmel,
von den Sternen hergeweht,
ach, ins irdische Gewimmel.

Manches hab ich angeschaut,
ganz zuletzt die Weihnachtsbäume,
und darunter aufgebaut
tausend wachgewordne Träume.

Mit Knecht Ruprecht ging ich viel
vor den schönen Christkindtagen,
immer neu war unser Ziel,
seinen Rucksack half ich tragen.

Unsrer Gaben Fülle lag
fest verschlossen in Verstecken,
daß nicht vor dem Jesustag
Naseweischen sie entdecken.

Ein Klein-Lottchen konnt ich sehn,
mit dem Brüderchen, dem Fritzen,
suchten emsig auf den Zehn
Schlüsselloch und Türenritzen.

Kinder, ward der alte Mann
böse, zeigte schon die Rute!
Doch ich tat ihn in den Bann,
bis ihm wieder lieb zu Mute.

Und nun trägt vom hellen Baum
jeder seinen Schatz in Händen,
und er läßt sich selbst im Traum
die Geschenke nicht entwenden.

Ganz besonders diesmal fand
Märchenbuch ich und Geschichten
denn ich kam in jenes Land,
wo die Menschen alle dichten.

Bleibt ihr artig, kleine Schar,
wird Knecht Ruprecht an euch denken,
bringt euch auch im nächsten Jahr
einen Sack voll von Geschenken.

Und dann steht ihr wie im Traum.
Und noch einmal seht ihr wieder
Kerzenglanz und Tannenbaum
und hört alte Weihnachtslieder.

Die Fenster auf! Der Engel hebt die Hacken,
langsam erhebt er zu den Sternen sich,
wir biegen unsre Köpfe in den Nacken,
hoch, höher schwebt er, silberweiß; ein Strich
verschimmert an des Mondes Sichelzacken,
die ganze Erde ruht nun feierlich.
Aus Poggefreds Wäldern, rings, wie Friedensklang
klingt wunderbar ein Knabenzwiegesang:
Sanctus dominus deus Sabaoth,
pleni sunt coeli et terra gloria tua,
Hosianna in excelsis.

Detlev von Liliencron